2020 – Die Zwanziger vor hundert Jahren

2020 – Die Zwanziger vor hundert Jahren

10. Januar 2020 0 Von Charlotte Wiesner

Hundert Jahre liegen sie nun zurück, die „Goldenen Zwanziger“, der „Nullpunkt des Sinns“, der „Aufbruch in die Moderne“. Eine unfassbar bewegte Zeit, deren Leben sich in den Metropolen des gesamten Globus abspielte. Darunter auch in Berlin, das zu einer Millionenstadt aufblühte und zum Schauplatz des Geschehens wurde.

Der Erste Weltkrieg sollte der Vergangenheit angehören und wurde verdrängt oder überspielt. Doch seine Schatten waren allgegenwärtig – die zurückgebliebenen, die verwundeten und traumatisierten Soldaten. Ja, der Krieg war vorüber, aber er hinterließ „eine Generation […], die vom Krieg zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam.“ So schrieb Remarque in seinem Roman „Im Westen nichts Neues“ und machte damit als Erster den Versuch, über den Krieg zu berichten. Der Roman wurde stark kritisiert, denn die Menschen wollten etwas Neues. Und sie fanden es in der scheinbaren Unbeschwertheit der zahllosen Tanz- und Showgeschäfte, in denen man sich unter modernsten Licht- und Wassershows in der Ekstase der wilden Tänze verlor. Zum Rausch verhalf einem auch die Modedroge Kokain, welche neben tausenden anderen Produkten auf den unzähligen Reklameplakaten angepriesen wurde. Eine Konsumgesellschaft hatte sich etabliert, der moderne Kapitalismus hatte sich eingenistet.
Das Blattgold der 20er Jahre, mit dem man die Vergangenheit, das Alte und Morsche, überklebte. Die Republik war doch ausgerufen wurden – zum ersten Mal „Demokratie“ in Deutschland; es hieß doch, die Monarchie sei tot! Neu war diese Demokratie allemal, fremd und unverständlich jedoch auch – nur ein Wort, das über den Menschen schwebte, nichts als ein leeres Versprechen. Viele waren noch verwurzelt in der Kaiserzeit, die ihnen eine Stabilität durch die klare Position gegeben hatte. Besonders nach den Kriegszeiten war die Unsicherheit so groß, dass man etwas Vertrautes brauchte, um sich daran festzuhalten, oder eine Gruppe, durch die man sich zugehörig fühlte, wieder einen klaren Platz in der Gesellschaft einnahm. Hinzu kam der Versailler Vertrag, durch welchen Deutschland alle Kriegsschuld auf sich nehmen musste und damit auch zu einem extremen Abrüsten sowie der Abgabe von Land und Rohstoffen an die Alliierten verpflichtet war. Dies wurde besonders auf konservativer Seite als zutiefst demütigend und degradierend aufgenommen – ein harter Schlag nach einer Ära gewonnener Kriege.
Es bildeten sich radikale Gruppen und die Fronten zwischen Linken und Rechten verhärteten sich. Unruhen führten zu brutalen Auseinandersetzungen, welche viele Tote zur Folge hatten, unter ihnen die Gründer der KPD Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Neben den Straßenkämpfen kam es zu Attentaten oder Putschversuchen wie dem „Marsch auf Berlin“ am 8. November 1923, der von Adolf Hitler, dem Führer der NSDAP, inszeniert wurde. Auch wenn das Justizwesen hier durchgreifen konnte, gelang es doch kaum die Überhand in der Millionenstadt Berlin zu gewinnen und der kriminelle Untergrund breitete sich aus. Berlin war eine Hauptstadt des Verbrechens, wie sie Alfred Döblin in dem Roman „Berlin Alexanderplatz“ verbildlicht. Im Jahr des Hitler-Putsches 1923 spitzte sich auch die Krise um den Versailler Vertrag zu, als französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet besetzten, um soviel Kohle und Stahl wie möglich herauszupressen. Um die Schulden auszugleichen, ließ man Tonnen an Geldscheinen drucken. Eine Hyperinflation war die Folge. Nun bastelte man Papierdrachen aus dem Geld, weil es keinen Wert mehr hatte.
Trotz dieser wirtschaftlichen Schwächung schaffte man während der 20er Jahre eine ausgeprägte Verkehrsindustrie – auch in der Luft. Denn neben dem Autoverkehr galt auch der Zeppelin, welcher als erstes Flugobjekt den Globus umrundete, als Errungenschaft. Auch in der Wissenschaft hatte man große Entdeckungen errungen, wodurch innerhalb dieses einen Jahrzehnts sieben Nobelpreise an deutsche Wissenschaftler, darunter auch Albert Einstein, verliehen wurden. Sogar ein Literaturnobelpreis an Thomas Mann wurde verliehen, welcher bereits vor der „Barbarei und Jahrmarksrohheit“ der Nationalsozialisten warnte. Neben ihm, Döblin und Remarque spielt auch Bertolt Brecht eine bedeutende Rolle. Mit der Aufführung der „Dreigroschenoper“ sorgte er durch seine starke Gesellschaftskritik für einen Skandal. Ebenso kontrovers wurde Kurt Tucholsky diskutiert, der als Publizist mit seinen pazifistischen, demokratischen Ansichten den modernen Journalismus prägte. Der Kunst wurde die Möglichkeit gegeben aufzublühen – der Dadaismus entwickelte sich. Den Menschen wurde die Möglichkeit gegeben, sich durch die Kunst selbst zu behaupten. Der Dadaismus ist Sinnzerstörung und Provokation zugleich, so reagierte die Presse entrüstet auf eine an der Decke hängende Offiziersuniform mit Schweinemaske. Doch der Film hatte gegenüber der Ausstellung eine weitaus größere Bedeutung eingenommen. Man ging nun in Kinos. Der expressionistische Film „Metropolis“ von Fritz Lang zeigte eine düstere Zukunftsvision mit nie gesehen Spezialeffekten.
In der Architektur verwirklichte Bauhaus den Zeitgeist in funktionalen sowie ästhetischen Bauten für den modernen Menschen. Auch das Frauenbild ist ein neues. Die moderne Frau trug kurze Haare und zeigte mehr Bein als Zeichen ihrer Unabhängigkeit. Während des Krieges musste die Frau die Arbeit des Mannes übernehmen und war nun nicht mehr wegzudenken. Hier wurden wichtige Schritte der Emanzipation begründet. Nach und nach wurde das Leben modernisiert. Damit gingen auch zahlreiche Berufe verloren, die durch die neuen technischen Möglichkeiten ersetzt werden konnten, was die Massenarbeitslosigkeit durch die Weltwirtschaftskrise 1929 verstärkte. Besonders die NSDAP hatte auf ihren Wahlplakaten für ein Deutschland ohne sozialen Notstand geworben, was nur durch Hitler zu erreichen sei. Damit kündigte sich neben dem brutalen Vorgehen der SA ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte an.

Die Zwanziger Jahre sind der Schnittpunkt zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Machtergreifung der Nationalsozialisten, stehen jedoch auch für den Aufbruch in die Moderne. Die Veränderungen sind in der Neuartigkeit der Kunst, den Innovationen in der Technik und der demokratischen Verfassung zu beobachten. Trotz der konservativen bis rechten Gruppen und des immer noch stark präsenten Militarismus war der neue Zeitgeist doch oder auch gerade wegen dieses Zwiespalts zu spüren.