Der Gang des Erinnerns

Der Gang des Erinnerns

12. November 2019 0 Von Charlotte Wiesner

Im Gang des Erinnerns sind die Komponenten des Erinnerns und des Gehens vereint. Unter dem Gehen kann man das Laufen als physischen Ausdruck des „In-die-Geschichte-Zurückgehens“ sowie des „In-sich-Gehens“ betrachten, was uns zur Komponente des Erinnerns führt. Dieses ist ein elementarer Teil unserer Geschichtskultur, welche der Gang des Erinnerns in den ästhetischen und kognitiven Dimensionen umfasst. So gingen wir anlässlich der Reichspogromnacht am 9. November 1938 über 80 Jahre in die Geschichte zurück und gedachten der Opfer der Nationalsozialisten. Hiermit wollen wir uns mit dieser Geschichte auseinandersetzten und sie lebendig halten.

Der erste Stolperstein Schleswig-Holsteins sollte unsere erste Station darstellen. Er wurde für Anneliese Oelte in der Ernst-Ziese-Straße 2 verlegt. Auf Grund ihrer Behinderung wurde sie von den Nationalsozialisten verfolgt und 1938 in die Alsterdorfer Anstalten eingewiesen. Die Diagnose der Nationalsozialisten war zutiefst diffamierend – in keinster Weise medizinisch. Dort verbrachte sie fünf Jahre, bis sie in eine Anstalt nach Wien verlegt wurde. Anneliese Oelte lebte dort unter unwürdigen Bedingung und wurde so stark vernachlässigt, dass sie an Unterernährung litt. Als sie 1945 in eben jener Anstalt starb wog sie 17 kg – ermordet durch die Nationalsozialisten.
Bis heute werden behinderte Menschen aus der Gesellschaft ausgeschlossen, so ist beispielsweise die Arbeitslosenrate jener immer noch erschreckend hoch – zu hoch. So muss man zum einen die Entwicklung betrachten, aber auch das, was noch getan werden muss, um allen Menschen die gleichen Chancen zu ermöglichen.
Unsere zweite Station führte uns in die Geschichte der Familie Rath, welche in dem Haus in der Waldstraße 8 lebte und unter den grausamen Taten der Nationalsozialisten litt. Hier brachte uns das Geschichtsprofil des 10. Jahrgangs unserer Schule das Schicksal der Familie durch personalisierte Beiträge nahe. Wir erfuhren von Veronika Rath, welche sich auf Grund ihres jüdischen Glaubens aus der Öffentlichkeit zurückzog und später sogar Suizid beging; von Dr. Hugo Rath, welcher auf Grund von angeblicher kritischer Äußerungen gegen die Regierung denunziert wurde und aus Verzweiflung wegen des Suizides seiner Frau der Alkoholsucht verfiel; von den Kindern Fritz Ulrich und Veronika Rath, welche durch die „Nürnberger Rassengesetze“ ihrer Zukunftsperspektiven beraubt und als „Halbjuden“ diffamiert wurden.
Zwei weitere Schicksale zweier jüdischer Familien aus Ahrensburg wurden uns an der dritten Station nahe gebracht. Das EKG befasste sich mit der Familie Eickhorst. Diese war Ladeninhaber der Adler Apotheke, welche wegen Frau Eickhorsts jüdischer Abstammung ebenfalls vom Boykott betroffen war. So waren sie gezwungen, die Leitung der Apotheke abzugeben.
Die Heimgartenschule gestaltete den Beitrag zur Familie Lehmann. Mit dem Boykott des Kornspeichers der Lehmanns am 1. April 1933 nahm die Judenfeindlichkeit in Ahrensburg noch stärker zu, woraufhin ein großer Teil der Familie ins Ausland floh und nur so den Nationalsozialisten entkam. Magnus Lehmann jedoch blieb in Ahrensburg zurück und wurde in einem KZ ermordet. Eine Schweigeminute in Gedenken an die Opfer folgte.
Anschließend gingen wir zum Rathaus, wo der „Engel der Kulturen“ die vierte und letzte Station darstellte. Dieses Kunstwerk zeigt die Verbindung zwischen den drei großen Weltreligionen: Islam, Judentum und Christentum. Er symbolisiert das multikulturelle und multireligiöse Zusammenleben in gegenseitiger Toleranz, Achtung und auch Bereicherung.
Frau Lommers Musikkurs des 11. Jahrgangs bereicherte den Gang durch Gospellieder und bot dadurch die ästhetische Dimension der Geschichtskultur.

Auch heute im Jahre 2019 ist es wichtig, sich bewusst mit der Geschichte auseinanderzusetzen, um sie zu verstehen und aus ihr zu lernen. Vorkommnisse von Hass und Gewalt gegen Minderheiten sind leider keine Seltenheit, was die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte zu verhindern vermöge. Der Gang des Erinnerns leistet durch das Gedenken mit Momenten der Ruhe und „In-sich-Gekehrtheit“ hierzu einen großen Beitrag.