Die Wünsche der Menschen

Die Wünsche der Menschen

8. November 2018 0 Von Laura Voß

Die alte Dame, die mit halb geschlossenen Augen auf einem staubigen Sofa saß, schien nichts Besseres zu tun zu haben, als unentwegt auf diese Uhr zu starren. Dabei war es gar nicht die Uhr, welche sie so interessierte, sondern das, was sich in ihr befand. Ein Bild. Das letzte Bild ihres verstorbenen Mannes hing verblasst und in schwarz-weiß in der tickenden Wanduhr. Eine kleine Träne rollte über die graue Haut der Frau. Ihr Mann hatte sie bis zu seinem letzten Tag geliebt, unterstützt und beschützt. Ja, er war sogar für sie ins Gefängnis gegangen. Die ganze Tragödie begann Anfang der 1940er Jahre mitten im 2. Weltkrieg. Bekanntermaßen wurden Juden, Leute mit anderer politischer Meinung und geistig oder körperlich behinderte Menschen von den Nationalsozialisten verfolgt, eingesperrt und misshandelt. Und wenn sie nicht an Überanstrengung durch Arbeit gestorben sind, dann fanden die meisten von ihnen einen qualvollen Tod in einer Gaskammer. Bruno war damals 25 Jahre alt und schon immer anderer Meinung als die Nazis. Das ließ er zu allem Ärger auch noch raus. Bruno hatte keine Angst vor seinen politischen Gegnern, nicht einmal vor Hitler selbst. Natürlich blieb das nicht unerkannt und schon nach kurzer Zeit wurde er in ein Konzentrationslager eingewiesen, aber nicht ohne vorher seine Frau Elisabeth in Sicherheit zu bringen, denn auch sie war der gleichen Überzeugung wie ihr Mann. Die Nazis wollten auch sie einsperren und töten lassen, konnten sie aber nirgends finden und nahmen fürs Erste nur Bruno mit. Elisabeth wurde trotz landesweiter Fahndungen nie gefunden. Bruno hingegen starb in der Gaskammer, nur weil er seine Meinung gesagt und vertreten hatte. Der junge Mann hatte noch so viele Pläne und jedes Mal, wenn Elisabeth an ihn denkt, dann sieht sie einen starken, ehrlichen und überzeugten Mann vor sich, der alles für sie getan hätte. Und nach wenigen Sekunden wurde aus der einzelnen Träne eine ganze Wanne voller Ausdruck der Traurigkeit. Mit verschwommenen Augen stand die alte Dame auf und ging schweren Schrittes in die Küche. Es verging kein Tag, an dem sie nicht an ihren größten Verlust dachte. Wie sehr sie sich doch den Frieden wünschte und ihren Bruno zurück.