KOMMENTAR: Die Sache mit G9

KOMMENTAR: Die Sache mit G9

28. November 2017 Aus Von REDAKTION

Die Sache mit G9 ist eine, die wichtig ist und zu der wir alle etwas sagen können. Weil ihr die Schule seid, wollen wir eure Meinung dazu wissen. Deshalb werden in den nächsten Tagen Schülervertreter in eure Klassen kommen, und euch abstimmen lassen, ob ihr G8 oder G9 besser findet, bevor im Januar nächsten Jahres die Entscheidung getroffen wird.

Ich weiß nicht mehr von welcher Partei sie waren, aber im Frühjahr diesen Jahres hingen Wahlplakate an den Straßenlaternen vor der Schule. Was ich noch weiß ist, dass ich mich kurz ein bisschen geärgert habe, weil mein Reinlege-Radar mit seiner sehr nervigen „it-s-too-obvious“-Sirene anging und mich davor bewahren wollte, in eine Falle zu tappen. Denn auf diesen Plakaten erklärte die Partei ihre Loyalität mit allen Schülerinnen und Schülern dieser Welt, okay, vielleicht auch nur mit einem Großteil aller deutscher Gymnasiasten, das ist doch auch schon was, indem sie sich für G9 aussprach.
Denn genau darum geht es, um G9, die Ungerechtigkeit gegen die wir sonst von Demokratie und relativem Wohlstand verwöhnten Jugendlichen dieser Zeit, uns aufgebracht empören.
G9 ist das Pendant des Schulsystems zu Polaroidkameras. Früher war es normal, dann wollte der ewig perfektionistische Zahn der Zeit auch hier optimieren und minimieren und modernisieren, doch in diesen beidem Fällen hat er nicht mit der hartnäckigen Emotionalität der Menschen gerechnet. Wo die Nostalgie eben hinfällt! Was Polaroidkameras von G9 unterscheidet ist die Reaktionsfähigkeit ihre Heimat; während der Markt für Techniktrends so fix und flink und aufmerksam wie ein junges Reh den hakenschlagenden Konsumenten hinterher springt, hat das Bildungssystem die Reaktionsfähigkeit des ersten PCs von meinem Vater, wenn die 16 MB-Festplatte voll war. Und um ehrlich zu sein ist auch die Relevanz eine andere, aber egal.
Was nur wirklich schade ist, ist die Uneignung von G9 für eine spannende Debatte. Weil alle einer Meinung sind. Weil alle Recht haben. G8 war ja ganz nett, so mal zum Ausprobieren. Und ehrlich, ich bin sehr froh, nicht noch ein Jahr länger zur Schule gehen zu müssen. Aber vor allem war G8 eine Bühne für all das was in unserem Schulsystem falsch läuft. Zum Beispiel die eklatant disparitären – äh, Unterschiede zwischen den Bundesländern. Denn wie gut dieses Absprechen und von den Fehlern der anderen lernen doch immer wieder nicht klappt, hat man an dem lustigen Tanz gesehen, den die Bundesländer in den letzten knapp zwanzig Jahren veranstalteten, als sie alle nach einander G9 ein- und wieder ausführten. Niedersachsen führt 2003 G8 ein, Bayern auch, Baden-Württemberg 2004, Schleswig-Holstein 2008. Im Jahr 2011 macht der erste G8-Jahrgang in Niedersachsen Abi, 2011 wird G8 auch abgeschafft, der letzte G8tler wird 2019 die Schule verlassen. Bayern führt G9 fünf Jahre nach dem ersten Durchlauf wieder ein, Baden-Württemberg bevor der erste Jahrgang überhaupt durch war. Und Schleswig-Holstein hat nach nur drei Jahren mit der neuen Digitalkamera wieder die Polaroid rausgekramt, die diese coolen atmosphärischen Bilder macht, die man so schön zwischen einer Lichterkette an die Wand hängen kann.
Warum mein Unterbewusstsein letzten Frühling aber Angst hatte, in eine Falle zu tappen, ist nun wirklich einfach zu erklären. Alle, alle Schüler wollen G9. Oder sagen wir 98% alle. Weil diese Zeit zwischen 11 und 17 so oder so anstrengend ist, auf vielen verschiedenen Ebenen und man noch ein bisschen mehr Schulstress nicht so gut gebrauchen kann. Weil man ein bisschen mehr Zeit m sich selbst kennen zu lernen gut gebrauchen kann, bevor man mit 19 oder 18 – oder eben auch 17 – in die Welt entlassen wird. Weil unsere Leistungsgesellschaft auch von den Jüngsten manchmal zu viel fordert und ein bisschen was kaputt macht. Und weil die Schulzeit eigentlich prädestiniert wäre, um Jugendlichen gesunde Essmechanismen, Stressbewältigung und eine Work-Life-Balance anzueignen.
Warum die G8-G9-Sache aber trotzdem nicht so einfach zu entscheiden ist oder warum man nicht so einfach zurückgehen kann, ist nicht ganz so einfach zu erklären. Kurz gesagt liegt es an kleineren und größeren organisatorischen Details. So müssten zum Beispiel in der Übergangsphase Lehrerstellen gestrichen werden, mehr Klassenräume gefunden und Lehrpläne ausgearbeitet haben. Tatsächlich ist von Kiel noch kein eindeutiger G9-Plan herausgegeben worden, eine Zukunft mit G9 ist im Moment noch eine sehr undefinierte Zukunft. Und die große Chance, die neuen Bildungspläne länderübergreifend durchzusetzen haben wir ja jetzt auch schon verpasst.
Trotzdem ist die G9-Frage eine wichtige.

MLG

UPDATE zum Stimmungsbild der Schülerschaft:

So habt ihr abgestimmt!

G8: 32,2%

G9: 67,8%