Wie der Schein trügen kann – Die „Faust“ Inszenierung des Theaters Hessen
Wozu noch die zehntausendste „Faust“ Inszenierung? Wurde nicht schon alles gesagt, jeder Aspekt betrachtet? Und hat das Drama für unsere Generation überhaupt noch Bedeutung und Aktualität? Die Inszenierung des Theater Hessen zeigt, dass dem so ist!
Eine Teufelsschule und wir sind die Schüler
Gemeinsam mit Regisseurin Astrid Lämmlein entwickelte Ekkehart Voigt nach jahrelanger Auseinandersetzung mit dem weltbekannten Drama und Goethe im Allgemeinen das Ein-Mann-Stück. Zuvor befasste sich Voigt vor allem mit Schillers Werken. Doch auch „Faust“ wurde zum gelungenen Schauspiel, welches für uns, dem zwölften Jahrgang, vor einigen Wochen aufgeführt wurde.
Die tatsächliche Handlung wurde eingebettet in eine neue Rahmenhandlung. Das Publikum ist hierbei das vom Teufelslehrer unterrichtete Teufelsschülertum, welchem anhand von „Faust“ Mephistos Manipulationskunst demonstriert wird. Das uralte Drama als geschickter Streich des Teufels, der den greisen, weisen Mann und sogar Gott überlistet? Glaubwürdig gemacht werden kann dies allemal!
Als würde dies am Originaltext Stück für Stück bewiesen werden, sind auch lediglich die Szenen eingebracht worden, welche das Thema Manipulation behandeln. So spielt Mephisto beispielsweise in der ersten Studierzimmer-Szene den leicht zu bannenden Teufel und macht sich damit weitaus machtloser, als er eigentlich ist, nur um Faust ein Überlegensheitsgefühl zu geben. Dies soll den frustrierten und tief in einer Wissenskrise steckenden Gelehrten leichtsinning machen und ihn für die darauffolgende Wette sensibilisieren.
Um das Geschehen zu veranschaulichen, tritt Voigt immer wieder aus seiner Rolle und erklärt als Teufelslehrer Mephistos Strategie. Auch wird zu aktuellen Manipulationsmöglichkeiten Stellung genommen. Smartphones bezeichnet der Teufelslehrer als „Meilensteine der Manipulation“ und lobt ihre verführenden Eigenschaften.
Interaktives Theater
Um die Aufmerksamkeit des Publikums während des gesamten Stückes aufrecht zu erhalten, was sich bei Goethe-müden Jugendlichen wohl als alles andere als leicht gestaltet, wird an passenden Stellen das Publikum immer wieder aktiv mit ins Geschehen eingebunden. Es werden auf amüsante Weise Fragen gestellt und kleine Rollen verteilt, sodass jeder am Ende doch etwas besorgt war, drangenommen zu werden. Geschickt eingesetzt nahm die Komik nie Überhand, sondern konnte den Bogen zwischen Belustigung und Aufmerksamkeit spannen, sodass es der vermittelten Botschaft dienlich war.
Ein weiterer Aspekt, der die Angemessenheit dieser Inszenierung beweist, ist die Verständlichkeit der Handlung. Obwohl in allen ursprünglichen Szenen der Originaltext beibehalten wurde, welcher nicht immer leicht zu verstehen ist, konnte man ohne Mühe folgen. Das liegt vor allem an der herausragenden schauspielerischen Leistung Ekkehart Voigts. 90 Minuten mit beeindruckender Inbrust „Faust“-Originaltexte wiederzugeben, während zwischen den verschiedenen Figuren hin und her gewechselt wird, zeugt von höchster Variationsfähigkeit, Flexibilität und Schauspielkunst. Als Zuhörer vergaß man beinahe, dass das gesamte Stück nur von einer Person inszeniert wurde.
Und was hat uns diese zehntausendste „Faust“ Inszenierung nun gelehrt?
In der einstündigen Nachbesprechung zeigte sich uns Herr Voigt noch einmal von einer ganz anderen Seite. Als würde er ein Kostüm abstreifen, sahen wir auf einmal den Künstler, der hinter dem etwas durchgeknallten Faust, dem gruseligen Teufel, dem unschuldigen Gretchen und der leicht zu verführenden Nachbarin Marthe steckte.
Herr Voigt erzählte uns, wie er auf Faust kam, wie man es schafft, soviel Text auswending zulernen, und was man bei einem Blackout auf der Bühne macht. Er brachte uns somit nicht nur Goethes Drama näher, sondern gab uns auch noch den ein oder anderen Ratschlag fürs Leben mit. Voigt kritisierte Goethes veraltetes Frauenbild und erklärte, dass unser Unwohlsein, ausgelöst durch unfreiwillige Interaktionen, gewollt war und auf kritische Weise zeigen sollte, wie das System Schule funktioniert- nämlich durch Autorität und Druck.
Schließlich riet er uns allen noch eins: nicht zu vergessen, dass wir selber Schöpfer unseres Lebens sind. Wir haben immer die Wahl, unser Leben so zu gestalten, wie es uns am glücklichsten macht, ganz unabhängig von sozialen Normen!
Abschließend lässt sich sagen, dass Voigts „Faust“ Inszenierung uns allen die Vielschichtigkeit und Aktualität des Dramas vor Augen führte und mit dem überaus relevanten Thema der Manipulation klar verständlich, unterhaltsam und im höchsten Maße adequat „Faust“ unter einem neuen Aspekt beleuchtete, der auch dieser zehntausendsten Inszenierung ihre Daseinsberechtigung gibt.