Die unrechtmäßige Omniszienz
Vor sechs Jahren löste Edward Snowden mit der Enthüllung der digitalen Massenüberwachung einen allgemeinen Aufschrei aus. Wie konnte es dazu kommen, dass eine „demokratische“ Regierung das Recht auf Freiheit verletzt? Was passiert heute mit unseren Daten? Edward Snowden befasst sich in seiner Autobiographie „Permanent Record“ mit diesen Fragen.
Die USA hatten als Supermacht über einen lagen Zeitraum keinen „Gegenspieler“, niemanden, mit dem sie sich messen konnten, bis der IS, der Islamische Staat, auf der Bildfläche auftauchte, und es nun wieder mehr als alles andere darum ging, seine Macht zu beweisen. So wurde 9/11 der Ausgangspunkt einer Massenüberwachung, wie es sie nie zuvor gegeben hat.
Jedes „relevante“ Indiz zur Bekämpfung des Terrors sollte nun verfolgt werden, „relevant“ ist hier jedoch bedeutungsleer, da jede Information irgendwann einmal von Relevanz sein könnte. Dies bedeutet, dass alles, jede noch so kleine Information über jeden gesammelt wurde, der jemals im Internet war. Mit dem Tool XKEYSCORE hatte die NSA Zugriff auf nahezu alles, was ein Nutzer an seinem Gerät tut. Alle Daten, nicht nur jene, die du bewusst hinterlässt, sondern auch die sogenannten Metadaten, welche Auskunft über Absender und Empfänger geben, wurden überwacht und – schlimmer noch – auf einer Cloud verewigt.
Aus diesem Grunde sind wir alle laut Edward Snowden die ersten Menschen in der Geschichte unseres Planeten, deren bewusste Erinnerung und persönliche Aufzeichnungen nur einen Bruchteil jener Informationen darstellen, welche die Regierung und Unternehmen sich über uns angeeignet haben – meist ohne unser Wissen und unsere Einwilligung. Dieses unvorstellbar umfangreiche Speichern jeglicher Daten hat sich bis heute nicht verändert, obwohl laut dem Gesetz EU-weit einzig und allein dem Erzeuger seine Daten zustehen und auch Websites so wie die meisten technischen Geräte größtenteils verschlüsselt sind. Abgesehen davon ist es erschreckend, dass, abgesehen von der EU, Tools zum Schutze der eigenen Privatsphäre eingeführt werden mussten, weil es nirgendwo sonst gesetzlichen Schutz gab.
Und dies bringt uns zur zweiten Problematik und dem Grund, weshalb wir bis heute „Datengespenster“ sind: der Wanderschaft unserer Daten. Diese befinden sich zum einen nie nur an einem Ort, zum zweiten nicht nur auf unseren Geräten. Da das Internet eine globale Reichweite hat, ist es somit vollkommen unerheblich, ob sich deine Fotos auf deinem Handy in Deutschland als Teil der EU befinden oder in den USA selbst. Außerdem war Deutschland nicht unbeteiligt; der Bundesnachrichtendienst war in viele Operationen der NSA verwickelt und hat sogar in Vertretung bestimmte Überwachungsaktionen ausgeführt.
Nun muss man sich fragen, was mit unseren Daten heutzutage passiert oder noch passieren könnte. Betrachtet man, wer unsere Daten nutzt, so ist die Antwort offensichtlich: es geht hier – wie so oft – um kommerzielle Interessen. So erstellt ein Konzern wie zum Beispiel Amazon anhand deiner Daten ein Profil von dir und Algorithmen leiten daraus ab, welches Produkt du mit hoher Wahrscheinlichkeit kaufen wirst. Das entscheidende Problem ist, dass diese Algorithmen dich zu dem über dich erstellten Profil machen. Im Journalismus kann dies fatale Folgen mit sich bringen; stell dir vor, du bekämest nur noch die Nachrichten, von denen der Algorithmus denkt, dass sie in dein Weltbild passen oder dem Programmierer des Algorithmus zugute kommen. Letzteres ist bereits im Fall von Cambridge Analytica aufgetreten.
Die Whistleblower-Affäre ist nun schon mehrere Jahre her und kaum einmal ist es noch Gesprächsthema. Doch immer noch werden wir durch die Überwachung und das Speichern unserer Daten sowie die Nutzung von Algorithmen unserer Freiheit auf mehreren Ebenen beraubt. Und gerade im Zeitalter der Digitalisierung ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen und sich dagegen zu wehren.
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